Er war in der Tat »einer der Gerechten unserer Generation« (Prof. Dr. Israel J. Yuval, Jerusalem)
Am Sonntag, 16. Mai 2021 – an seinem 84. Geburtstag und am Beginn des jüdischen Festes Shavuot – ist er plötzlich verstorben: Prof. Dr. Alfred Haverkamp aus Trier. Er war einer der »Männer der ersten Stunde« der neu gegründeten Universität Trier im Wissenschaftsbereich. Als Professor für Mittelalterliche Geschichte prägte er seit 1970 das Bild dieses Fachbereichs an der wiedergegründeten Universität. Aber es war vor allem der von ihm bereits in den 1970ern ins Leben gerufene Forschungsschwerpunkt der jüdischen Geschichte in Deutschland und Europa, der sein großes Lebenswerk ist. Sein großer Verdienst ist, dass er wissenschaftliche und menschliche Kontakte knüpfte zu jüdischen Gelehrten deutscher Herkunft in Israel. Einer war der ehemalige Breslauer Historiker Dr. Arye Maimon (sein deutscher Name war Herbert Fischer, 1903–1988), der dem 1996 an der Universität Trier gegründeten Arye Maimon-Institut seinen Namen gab.
Einen sehr tiefgründigen Nachruf haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts für Professor Haverkamp verfasst. In ihm ist zu lesen, dass Alfred Haverkamp sich »als Wissenschaftler in gesellschaftlicher Verantwortung« sah, dass er »klar erkannte (…), dass das Unwissen über die jüdische Geschichte und ihre systematische Vernachlässigung in der deutsch-nationalen Geschichtsschreibung zur Katastrophe der Shoah beigetragen haben. Angesichts der Zerschlagung der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums durch die Nationalsozialisten bemühte er sich deshalb um den Dialog mit jüdischen Gelehrten deutscher Herkunft in Israel.«
Berührend und bezeichnend für den hohen Stellenwert, den Professor Haverkamp bei seinen jüdischen Kollegen genießt, ist die Reaktion auf seinen plötzlichen Tod: »Der Talmud sagt (Sotah 13b): Gott vollendet die Jahre der Gerechten von Tag zu Tag und vom Monat zu Monat. Moses wurde am 7.Adar geboren und starb am 7.Adar. David wurde an Shavuot geboren und starb an Shavuot. Professor Alfred Haverkamp ist am 16. Mai 1937 geboren und starb am Abend des 16. Mai 2021, am Beginn von Shavuot. Er war in der Tat einer der Gerechten unserer Generation. Vom Tag seiner Geburt am Pfingstsonntag bis zum Tag seines Todes an Shavuot hat er Christen und Juden verbunden. Das war die Berufung seines Lebens, die er bis zu seinem letzten Tag erfüllt hat (Prof. Dr. Israel J. Yuval, Jerusalem).« Nachzulesen im erwähnten Nachruf des Arye Maimon Institut.
Es war in meinem 1. Semester an der Universität Trier, WS 1980/81, dass ich diesen jovialen, mit hintergründigem Humor versehenen, Pfeife rauchenden, damals 43-jährigen Professor mit seinem enormen Wissensschatz als 19-jährige Studentin kennenlernte. Es war ein Proseminar zur »Sozialgeschichte des 14. Jahrhundert«, das er gemeinsam mit seinem Mitarbeiter, dem Historiker Alfred Heit, durchführte. Legendär waren die Treffen in der Sitzrunde der mittelalterlichen Abteilung, in denen nach wissenschaftlichen Gesprächen die Geselligkeit gepflegt wurde. Die »Haverkamp-Familie« (studentische Hilfskräfte, wissenschaftliche Mitarbeitenden, der Chef) war bekannt dafür, dass sie nicht nur hervorragende wissenschaftliche Ergebnisse zustande brachte, sondern auch zu feiern wusste. Und immer voran der »Doyen«, Professor Haverkamp und, das war ihm wichtig, auch die Sekretärin, die zur »Familie« dazu gehörte.
In seiner Familie zuhause war seine Ehefrau Ida ihm eine ganz wichtige Stütze. Das durfte ich zum letzten Mal anlässlich unseres Zusammentreffens im Stadtmuseum Simeonstift erfahren, am 21. März 2021, bei der Eröffnung »Orte jüdischen Lebens in Trier.« Frau Haverkamp verwies darauf, was ihr Mann noch alles veröffentlichen wolle und wie sie ihn dabei unterstützen werde. Es war der wissenschaftliche Kampf gegen das Unwissen über die jüdische Geschichte, der ihn zu Beginn der 1980er aus dem Elfenbeinturm der Universität auf der Tarforster Höhe auch hinab in die Innenstadt von Trier, zum Augustinerhof, in den Trierer Stadtrat, trieb, um hier dafür zu werben, dem mittelalterlichen jüdischen Viertel in Trier (der Judengasse), das würdige Aussehen zu verleihen, das ihm gebühre.
Schade, dass er die Umsetzung der Pläne nicht mehr erleben darf, und wie tröstlich, dass es einer seiner akademischen Schüler ist, Prof. Dr. Lukas Clemens (der 1991 bei ihm über »Trier-Eine Weinstadt im Mittelalter« promovierte), der zurzeit mit der Projektskizze hinsichtlich von Grabungen im Bereich der Judengasse befasst ist, um das dortige jüdische Ritualbad, die Mikwe, frei zu legen. Sollte das geplante »Jüdische Dokumentationszentrum« dort errichtet werden, hätte Prof. Dr. Alfred Haverkamp es mit seinen stetigen Bemühungen um die Aufklärung über die reichhaltige jüdische Geschichte Triers verdient, dass dieses Zentrum seinen Namen trägt.