Ukrainischer Keller-Kuchen

»Miez, Miez, Miez«

Warum ein Teller mit ukrainischem Honig-Kuchen vor meine Tür im Keller abgestellt wurde?

(Prolog: Auch in schwierigsten Zeiten muss man sich wenigstens ein wenig Humor bewahren, sonst erträgt man diese nicht. )

Zwei Bilder schickte »MEINE beste Ehefrau von allen« heute in die WhatsApp-Familiengruppe: Eines zeigte einen Teller mit einem Stück Kuchen vor einer Tür. Das andere, wie ich im Trainingsanzug das Stück gierig ergreife. »Miez, Miez, Miez«, hat der mir angetraute Widerspruch das Bild frech kommentiert und ein Katzenbild daruntergesetzt. Es folgten jede Menge lachende Smileys von den drei erwachsenen Kindern.

Sie werden sich fragen, wie es zu dieser grotesken Situation kam? Ich will es erklären.

Jutta hat schon vor einigen Tagen Kontakt über die »Nestwärme« in Trier Kontakt zu einer ukrainischen Familie aufgenommen, die vor den Grauen des Krieges in ihrem Heimatland geflohen war und in Trier Zuflucht fand.

Mutter, Vater, der – seit gestern, Mittwoch – fünfjährige Sohn und ein Kater.

(Und bevor sich jemand fragt, warum der Mann nicht in der Ukraine an der Front kämpft, nur soviel: die junge Mutter des gemeinsamen Kindes ist bereits in der Ukraine sehr schwer erkrankt)

Die »Nestwärme« warb darum, dass man sie in der Fürsorge der Familien unterstützt. Jutta hatte schon bei Betreuung von syrischen Flüchtlingsfamilien im Jahr 2015 Erfahrung sammeln können, weshalb sie sich spontan zur Mithilfe bereit erklärte.

Da gibt es so Alltagsdinge. Beispielsweise musste die Katze geimpft und gechipt werden, was Dank der Praxis Dr. Kornberg kostenfrei und schnell ermöglicht wurde. Es wurde etwas Alltag, jenseits des Kriegsgeschehens in der Ukraine, herbei geführt (Sightseeing), um sie von den schrecklichen Erlebnissen abzulenken, die für uns, die wir behaglich im sicheren Trier wohnen und über die Benzinpreise maulen, während wir literweise Sonnenblumenöl hamstern, völlig unvorstellbar sind. Kennen wir doch die Apokalypse bisher nur aus Film und Fernsehen, die uns jetzt erstmals seit dem zweiten Weltkrieg so bedrohlich nah auf den Pelz rückt, dass wir fürchten müssen, dass er uns anbrennt.

Nun hatte der kleine Zakhar gestern Geburtstag. Jutta hatte die gute Idee, die Familie nebst einer jungen, in der Ukraine gebürtigen Frau, die als Dolmetscherin fungieren sollten (wir hatten sie dank eines Facebook-Aufrufes gefunden), zu einer kleinen Geburtstagsfeier einzuladen, um alle ein wenig abzulenken.

Unser Esszimmer wurde mit Luftschlangen und Kerzen festlich hergerichtet, ein paar Geschenke wurden besorgt. Auch ein leckeres Mittagessen war geplant.

Es war nicht so einfach, das alles auf die Schnelle zu organisieren. Aber alle freuten sich schon sehr darauf.

Doch dann kam alles anders, keine schöne Feier  ……. zum Glück muss man mit der Kenntnis von heute zugeben – die Enttäuschung bei den ukrainischen Freunden war ihnen anzusehen, wie Jutta berichtete, die die Geschenke in der »Nestwärme« vorbeigebracht hatte.

Rot, rot, rot

Eigentlich lasse ich mich ja, soweit es geht, täglich auf den Coronavirus testen. Hat doch die Corona-Warn-App ihre knallrote Farbe in den letzten Wochen niemals verloren. Immer wieder hatte ich auf das erlösende Grün gehofft, doch knallte mir immer wieder das Dunkelrot ins Gesicht und beunruhigte mit immer mehr so genannter »Risikobegegnungen«. So hat man das Gefühl, ständig von Infizierten umgeben zu sein, was doch eigentlich gar nicht sein kann.

Ich gebe offen zu:

Gestern Morgen verspürte ich überhaupt keine Lust, mir erneut von jemand Wildfremdem in der Nase herumbohren zu lassen: Ich fühlte mich pudelwohl und es gab zu Hause mehr als genug zu tun.

Irgendetwas sagte mir doch, dass ich den »inneren Schweinehund«, der mich dazu bewegen wollte, nicht das Haus zu verlassen, überwinden und doch den Gang bzw. die Radfahrt zum Testcenter auf Mariahof machen sollte.

Ich weiß nicht, wie oft ich diese Prozedur in den letzten Monaten über mich ergehen ließ: App vorzeigen, mit dem Personalausweis beweisen, dass man auch wirklich der Thomas Albrecht ist, mit allem einverstanden sein und dann das unangenehme Herumpulen in der Nase verbunden mit dem Problem, den unvermeidlichen Niesreiz unterdrücken zu müssen. Nach kurzer Zeit kommt der Test verbunden mit der wahren Herausforderung: Die PDF-Datei mit dem Testergebnis muss geöffnet werden, die indes – ich hasse übertriebenen Datenschutz – mit einem derart kryptischen Code verschlüsselt ist, sodass es mehre Minuten dauert, bis man mit den kalten Fingern auf dem Handy diese unverständliche, endlose Zeichenreihenfolge (ZqkGryx#FR¥œ) endlich richtig eingetippt hat.

Im Anschluss immer dasselbe: Ein Kreuzchen bei »kein Nachweis des Coronavirus SARS-CoV-« wird zufrieden zur Kenntnis genommen und es geht frohgemut nach Hause. Alles gut.

Oh Schreck, der Test ist positiv!

So auch heute, ausnahmsweise ist der Code schnell eingetippt …… doch HALT! Ich sehe einmal auf das PDF-Dokument, ich sehe zweimal hin, noch ein drittes Mal. Das verdammte Kreuz ist eine Zeile höher: »Nachweis« schreit es mir entgegen. Das mir, dem »Geboosterten«, 3-mal geimpft, dem das doch eigentlich nicht passieren dürfte. Mir zittern die Hände. Ich rufe schnell meine Frau an, die die ukrainische Familie gerade abholen will. Der Besuch kann noch abgeblasen werden, wenn es auch sehr traurig für den kleinen Jungen ist. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn die kranke Frau auch noch mit diesem schrecklichen Virus infiziert worden wäre!

Ich radele in die Stadt zu meinem Bruder, Arzt von Beruf, der mich in so einer Art Raumanzug empfängt und noch einmal ein Schnelltest macht, der ebenfalls positiv ausfällt. Das Rachenbohren für den obligatorischen PCR-Test ist noch etwas unangenehmer. Natürlich gibt es Schlimmeres. Außerdem werden noch ein paar Werte bei mir bestimmt, die ebenfalls bestätigen, dass ich eine Infektion habe. (Nachtrag: Wie nicht anders zu erwarten, ist auch der PCR

Ich solle jede Anstrengung meiden, meint mein fürsorglicher Bruder zu mir, natürlich dürfe ich mit dem Rad noch nach Hause fahren, was ich dann auch tat, dann müsse ich mich aber sofort streng isolieren.

Zehn, eventuell nur sieben, Tage unerbittliche Quarantäne sind jetzt angesagt. Ich will natürlich unbedingt vermeiden, dass sich andere und schon gar nicht meine liebe Ehefrau dieses Virus, das die Welt verändert hat, einfangen. Selbstverständlich hat sie sich sofort ebenfalls testen lassen: Ein Glück Negativ! Erklären kann ich mir das zwar nicht, aber wer kann sich irgendetwas in Zusammenhang mit diesem Virus schon erklären.

Nun haben wir bei uns zu Hause das große Glück, dass eine Isolation sehr gut zu organisieren ist: Mein Arbeitszimmer befindet sich im Keller, darin ist ein Bett, auch ein Badezimmer ist unten vorhanden, sodass ich mich hier einrichten kann, ohne mit sonst irgendjemanden in Kontakt zu kommen.

Ich verabredete mit meiner Ehefrau, nur noch per Telefon, Mail, Messenger, WhatsApp, SMS, Signal zu kommunizieren und wundere mich etwas, dass ihr das offensichtlich gar nicht so schwer fällt.

Nur musste ich nach einiger Zeit feststellen, dass in meinem Keller-Loch doch etwas Entscheidendes zum Überleben fehlt: Eine Küche nebst Inhalt!

Nach den ganzen Wirren und Schrecken stellte sich doch langsam ein Hungergefühl bei mir ein. Das war natürlich einerseits beruhigend, weil ich nach einer hektischen Internet-Recherche von Prof. Google erfahren habe, dass ein Symptom einer SARS-CoV-2 Infektion Appetitlosigkeit sei. Dieses Krankheitszeichen hatte ich jedenfalls schon mal nicht.

Andererseits vertragen sich miese Laune und Hunger überhaupt nicht.

Also rief ich »MEINE beste Ehefrau« von allen an und beschrieb meine akute Not. Offen gebe ich zu: Etwas enttäuscht war ich schon, dass sie weder jammerte noch weinte, oder sonst irgendwie ihre Besorgtheit über meinen Zustand zum Ausdruck brachte, sondern ganz cool antwortete, dass ihr ein ukrainischer Geburtstagskuchen mitgegeben worden sei. Ukrainischer Honigkuchen, den es immer an besonderen Festtagen gibt. Davon könne ich ein Stück bekommen. Wir verabredeten, so hat es der Arzt auch empfohlen, dass sie den Kuchen vor die Tür stellen und ich ihn dann hereinholen solle. Kontaktlose Übergabe.

Irgendwie hat sie sich dann auf die Lauer gelegt – ich habe sie gar nicht wahrgenommen – und die ganze Situation klammheimlich fotografiert.

So bin ich jedenfalls erst einmal nicht verhungert.

Jetzt sitze ich hier und messe mein Fieber, fühlt sich doch mein Kopf so schrecklich heiß an. »36,5° ist definitiv kein Fieber, höchstens etwas erhöhte Temperatur«, meint meine Frau wenig mitfühlsam, als ich ihr telefonisch das Ergebnis durchgebe. Irgendein Symptom muss ich doch haben, wenn ich schon infiziert bin. Meine Tochter, Psychologin von Beruf, rief mich an und erzählte mir etwas von klinischen Studien, die angeblich bewiesen hätten, dass man sich Krankheitsanzeichen auch einbilden könne. So ein Unsinn! Solche Ratschläge konnte ich in meiner Situation wirklich nicht gebrauchen!

Andererseits: Was habe ich schon für Sorgen, denke ich, während neue Hiobsbotschaften aus der Ukraine über die verschiedensten Medien wie Hagelkörner auf mich hereinprasseln. Die Apokalypse lauert vor der Haustür.

Warten wir ab, wie sich die Situation – bei mir – in der Welt – weiterentwickelt. Aber die Geburtstagsfeier werden wir auf jeden Fall nachholen! Versprochen!

2 Gedanken zu „Ukrainischer Keller-Kuchen

Kommentare sind geschlossen.