Kitschig oder tränenrührend? Oberflächlich oder tiefgründig? Langweilig oder mitreißend?
Schon 1992, als der vor wenigen Tagen, am 10.3.2017, im Alter von 77 Jahren, verstorbene amerikanische Autor Robert James Waller seinen ersten Roman „The Bridges of Madison Country“ (Auf Deutsch: “Die Brücken am Fluss”) veröffentlichte, gab es sehr zwiespältige Meinungen über das Werk. Dessen Handlung ist schnell erzählt:
Wir schreiben das Jahr 1965. Zur Einordnung: Es war das Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen mit Israel aufnahm, in dem Ludwig Erhard zum Bundeskanzler wiedergewählt wurde, der Auschwitzprozess in Frankfurt endete, Fidel Castro in Kuba ernst mit dem Sozialismus machte, und sich die USA mit Beginn der Bombardierungen tief in den Vietnam-Krieg verstrickten.
In der amerikanischen Provinz
Der Ort: Winterset, ein 5000 Einwohner-Örtchen, im amerikanischen Bundesstaat Iowa, in dem man von dem ganzen weltpolitischen Geschehen nicht viel mitbekam. Um unsere Fantasie nicht allzu sehr anstrengen zu müssen, stellen wir uns doch einfach Prüm in der Eifel in jenem Jahr vor.
Die Handlung: In diese Kleinstadt ist die aus Neapel stammende Francesca Johnson geraten. Sie hat nach dem Krieg in Italien den Farmer Richard “Bud” Johnson kennenglernt, geheiratet und ist mit ihm dort hingezogen. Dort führen sie nun ein ebenso biederes und solides, wie langweiliges Leben auf ihrer Farm. Sie haben zwei heranwachsende Kinder. Francesca ist rührende Mutter- und Hausfrau, so wie es seinerzeit beispielsweise meine liebe Mutter war, die fleißig ihrer Hausarbeit nachkommt. Ein Familienmodell, das in heutiger Zeit selten geworden ist.
In diese Idylle oder Einöde – je nach Sichtweise – bricht plötzlich ein völlig unkonventioneller Typ ein, der geschiedene Fotograf und Weltenbummler Robert Kincaid. Er will für das Magazin „National Geographic“ Fotos von der überdachten Roseman-Bridge anfertigen, ein damals wohl irgendwie bemerkenswertes Bauwerk. Und das just zu einem Zeitpunkt, als die gesamte Rest-Familie für 4 Tage zu einem landwirtschaftlichen Wettbewerb in eine Nachbarsstadt verreist.
Kein Wunder, dass sich die Nur-Hausfrau total in den 52jährigen Abenteuer-Typen verliebt, als er zufällig, um nach dem Weg zu fragen, zur Farm kommt. Weniger nachvollziehbar ist es, aber eben Grundlage des Romans, dass dieser die innigliche Zuneigung erwidert. Ja, es entwickelt sich sogar in kurzer Zeit eine intensive Liebe zwischen Beiden, die indes nur die zwei Tage andauern kann, da die Familie ja zurückkehrt. Francesca muss sich zwischen der großen Liebe, verbunden mit einem neuen Leben und ihrer Familie entscheidet. Sie wählt das Letztere, lässt Robert ziehen und nimmt keinen Kontakt mehr zu ihm auf, worauf dieser jedoch sehnsüchtig wartet. Die während des Stückes noch spätpubertierenden Kinder werden im Laufe der weiteren Zeit zu strebsamen Leuten, der Sohn gar Doktor der Medizin. Ehemann Bud stirbt. Und erst, als auch Robert verstorben ist, erfährt Francesa durch ein Paket, das sie vom Anwalt aus Roberts Nachlass erhalten hat, dass dieser sie bis zu seinem Lebensende innig geliebt hat.
Vom Buch über den Film zum Musical
Diese herzzerreißende Love-Story, die man eigentlich nur dann nachvollziehen kann, wenn man sich in die Gedankenwelt der sechziger Jahre herein versetzt, wurde 1995 mit Clint Eastwood verfilmt. (Ich empfehle übrigens allen, die sich das Musical ansehen wollen, für ca. 5 Euro die DVD zu erwerben und sich den Film zuvor einmal anzusehen, um einen Vergleich zu haben).
Daraus haben Marsha Norman (Buch) und Jason Robert Brown ein Musical kreiert, das von Wolfgang Adenberg ins Deutsche übertragen wurde und nunmehr erstmal in Deutschland aufgeführt wurde. Damit kam Trier der Stadt Chemnitz zuvor, in deren Stadthalle das Musical am 28.April 2017 erstmals aufgeführt wird. (Man sehe sich einmal die dortigen Eintrittspreise an [39 € – 56 €] und vergleiche sie mit denen in Trier [20 € bis 42 € in der Loge]! Hier bekommt man einmaligen professionelen Kunstgenuss zum Schnäppchenpreis!).
Ich hatte das Vergnügen, mit meiner Ehefrau Jutta die Premiere am 18.3.2017 besuchen zu dürfen.
Gemischte Gefühle
Auch bei uns fiel die emotionale Reaktion auf die Geschichte – wie bei den Lesern des Buches – äußerst unterschiedlich aus: Jutta war zu Tränen gerührt und musste am Ende sogar – ich flunkere nicht – die Taschentücher auspacken! Ich selbst hingegen fand die Geschichte eher flach und war nur wenig beeindruckt. Musste ich doch immer wieder daran denken, dass die ganzen Irrungen und Wirrungen, die letztlich darauf beruhten, dass die Beteiligten damals nur mir schnurgebundenen Telefonen kommunizierten oder kommunizieren konnten, in unserer heutigen Smartphone-Zeit völlig undenkbar wären. Und überhaupt: Solllte ich Mitgefühl für jemanden empfinden, der die Abwesenheit des Ehegatten so schamlos ausnutzt, um ihn mit einem dahergelaufenen Vagabunden zu betrügen? Wo kämen wir denn da hin!
Aber lassen wir das! Bekanntlich kommt es ja bei einem Musical auf die dahinterstehende Story überhaupt nicht an: Musik, Gesang, Schauspiel, (tänzerische Einlagen waren eher selten) all das war meiner Einschätzung nach wirklich außerordentlich ansprechend und gut.
Gelungene Inszenierung
Es war eine rundum gelungene Inszenierung von Ulrich Wiggers (Assistenz: Thomas Heep), die das amerikanische Musical sozusagen 1:1 ins Deutsche überträgt. Das ging bis in die Details wie beispielsweise die überdachte Brücke, die fast originalgetreu dargestellt war. (Nicht ganz ernst gemeinte Zwischenbemerkung: Wie oben angedeutet, hätte man die Geschichte ja auch in der Städtchen Prüm in den 60er Jahre verlagern können oder man hätte aus der Liebesbeziehung eine mit homophilen Einschlägen provozierende Szene machen können. Soll es ja alles schon gegeben haben.).
Die Bühnentechniker (Leitung: Matthias Winkler) zeigten ihre gesamten Fertigkeiten und holten alles heraus, was mit den knappen finanziellen Mitteln möglich war. Der Zuschauer fühlte sich sozusagen mitten in
das amerikanische Städtchen in den sechziger Jahren hineinversetzt. Einfach toll, wie mit der Hebebühnentechnik das Problem gelöst wurde, dass viele Szenen gleichzeitig an völlig verschiedenen Orten spielten.
Carin Filipčić spielte überzeugend die Francesca, Hans Neblung verkörperte Robert Kincaid so authentisch, dass man fast meinen konntee, Clint Eastwood sei persönlich auf der Bühne. Norman Stehr mimte den etwas einfältigen, aber treuen und biederen Ehemann Richard “Bud” Johnson mit großer Darstellerkunst. Alle übrigens bundesweit bekannte Musical-Darsteller.
Die packende, nuancenreiche Komposition von Jason Robert Brown wurde vom Orchester und den Darstellern hervorragend dargebracht. Alle verfügten über sehr gutes stimmliches Potenzial, wie mir auch anwesende Musiker in der Pause bestätigten. Mehrfach gab es in der Vorstellung spontanen Beifall für die Gesangseinlagen. Dank an Dean Wilington.
Für mich ein besonderes Highlight am Rande: Conny Hain und Christopher Rain, die das Nachbar-Ehepaar Charlie und Marge spielten, das das ganze Geschehen mit großem Interesse verfolgte: Charlie, der sich so sehr mit dem langweiligen Ehealltag abgefunden hatte, dass ihm alles gleichgültig war, Marge, die voller Neid darauf blickte, wie ihre Nachbarin den Ehemann betrog, wünschte sie sich doch im Inneren so sehr, dass ihr gleiches widerfahren würde. Vor allem Conny Hain gelang es immer wieder,mit ihren Einlagen beim Publikum Lacher zu erzeugen.
Kein Wunder also, dass sich das Publikum vollauf begeistert zeigte und sofort nach Ende der Aufführung spontan aufstand und langanhaltenden Beifall spendete. Fast alle, mit denen ich im Anschluss sprach, waren von dem Stück äußerst angetan, ich hörte nur ganz wenige kritische Stimmen. Es ist halt nicht jeder ein Musical-Fan.
Ein kulturelles Highlight!
Ich kann jedem nur wärmstens ans Herz legen, sich diese bundesdeutsche Uraufführung einmal anzusehen und einen entspannten Abend im Theater zu verbringen. Gehen Sie über die Brücke, die Ihnen unser Theater gebaut hat, um Sie als Besucher zu gewinnen!
Das Stück läuft noch bis zum 3. Mai 2017. Schade nur, dass die nächste Vorstellung schon gleich einen Tag nach der Premiere am Sonntag, 19.3.2017 stattfinden wird. «Wer hat sich so etwas nur einfallen lassen?», habe ich mich gefragt und erfahren, dass es eine Idee des ehemaligen Intendanten gewesen sein soll. Vergessen wir es also, wir wollen ja nicht nachtreten und wir sollten nicht unbeachtet lassen, dass er es war, der das Stück auf den Spielplan gesetzt hat.
Wollen wir also hoffen, dass die bekannte Trierer Mund-zu-Mund Propaganda wenigstens dann für die kommenden Vorstellungen ab 21.3.2017 wirken kann.
Wer sich einmal übrigens einen ersten optischen Eindruck verschaffen will, kann das hier tun: https://www.youtube.com/watch?v=jAqyy-OJrec